Vertraut geleiten sie uns durch Tag und Nacht – die Stimmen der Radio-Moderatorinnen und Moderatoren. „Vor allem spätabends und frühmorgens wirken ihre Stimmen tröstlich, weil vertraut, professionell, gescheit, zuversichtlich und beständig. Solange diese Stimmen sprechen, solang steht die Welt noch.“ Eine Ö1-Hörerin bringt auf den Punkt, was viele von uns sich in den vergangenen Tagen vermutlich gedacht haben.

Doch wie sieht es auf der anderen Seite des Empfängers aus. Die Kulturfüchsin hat bei Ö1-Programmchef Martin Bernhofer und der Sendungsgestalterin und Leiterin der Musikabteilung bei Ö1, Elke Tschaikner, nachgefragt. Ein Interview über neue Herausforderungen und alte Publikumshits.

Wie hat sich die Krise bei Ihnen im Sender auf die Programmgestaltung ausgewirkt? Inwieweit haben Sie versucht Sendungen aufrecht zu erhalten? Wurde beispielsweise verstärkt versucht, heimische Künstler zu fördern. Viele waren und sind derzeit stark von Einschränkungen betroffen …

Martin Bernhofer: Unser Ziel war es einerseits, die Ö1 Hörerinnern und Hörer bestmöglich aktuell über alle Corona-Fragen zu informieren, andererseits aber auch möglichst viel Normalität im Programm zu bieten, um dem Gefühl eines „permanenten Ausnahmezustands“ atmosphärisch etwas entgegen zu halten. Mit einem besonderen Augenmerk auf Information, aktueller Wissenschaftsberichterstattung und der Einrichtung eines eigenen „Corona Podcasts“ wurde dem Informationsbedürfnis und dem Bedarf an differenzierter Auseinandersetzung mit wissenschaftlicher Expertise Rechnung getragen. In den Ö1 Kultur- und Musiksendungen wurden nach dem Shutdown der Kultureinrichtungen und Aufführungsorte künstlerische und musikalische Statements und Beiträge aus dem kulturellen Homeoffice in vielen Formaten thematisiert und gesendet. Um eine virtuelle Bühne zu bieten, haben wir das Ö1 Online Kulturforum eingerichtet (https://oe1.orf.at/kulturforum), wo Kunst- und Kulturschaffende aller Sparten ihre Beiträge hochladen können. Daraus wurden in den Sparten Kabarett und Kleinkunst, Literatur und Musik auch Radiosendungen gestaltet. Abgesagte Festivals und Aufführungen haben in diversen Kultur- und Musiksendungen eine radiophone Ersatzbühne auf Ö1 gefunden, die natürlich nur symbolisch sein kann. Mit diesem Ansatz werden wir auch im kommenden Sommer Ö1 zu einer Bühne für Musik, Literatur und Festivals machen, die leider im öffentlichen Raum nicht stattfinden können.

Elke Tschaikner: Zum einen hat sich die Krise auf die tägliche Sendungsproduktion natürlich ganz praktisch ausgewirkt: Plötzlich waren die Redakteurinnen und Redakteure abgeschnitten von professioneller Produktionsinfrastruktur im ORF Funkhaus, da die meisten ins Homeoffice geschickt wurden. Das heißt, wir mussten viel experimentieren und Lösungen finden, wie daheim eine Musiksendung so entstehen kann, dass sie gut klingt. Es ging darum, das richtige Equipment zu besorgen, Arbeitsabläufe zu verändern etc. Auch auf einer anderen Ebene ist es natürlich eine einzigartige Situation: eine wunderbare, öffentlich-rechtliche Kernaufgabe von Ö1 ist es, Konzerte in ganz Österreich aufzuzeichnen und zu senden. Im Jahr 2018 beispielsweise waren es 619 hochprofessionelle Konzertaufnahmen, die 1000 Stunden Programm füllten. Und das in vielen Genres – von Klassik über Jazz und Weltmusik bis hin zu zeitgenössischer Musik. Die Produktionen und Aufnahmen stehen derzeit natürlich still. Ö1 macht die Konzerthäuser und Veranstalter, die Musikerinnen und Musiker sowie die Komponierenden aber weiter im Programm hörbar. Ö1 sendet in gewohnter Regelmäßigkeit ein bis zwei Mal täglich Konzerte und auch Opern aus ganz Österreich aus den eigenen Archiven. (u.a. in den Sendereihen „Das Ö1 Konzert“ und „On Stage“.) Mit jenen Veranstaltern, die derzeit Konzerte ohne Publikum via Internet streamen – beispielsweise der Jazzclub Porgy&Bess – sind wir in engem Kontakt und übernehmen auch einige dieser Konzerte.
Natürlich ist es für die Musikschaffenden ein existenzbedrohliches Szenario, wenn es keine Konzerte gibt, da werden wir weiterhin intensiv unsere Verantwortung wahrnehmen.

Gerade das Radio lebt in besonderem Maße von Live-Sendungen. War es schwierig diese aufrecht zu erhalten?

Elke Tschaikner: In Bereich der Ö1 Musikredaktion gab es weiterhin zwei tägliche Live Sendungen. Pasticcio um 8.20 Uhr und Des Cis um 11.30 Uhr. Des Weiteren wurde der Ö1 Klassiktreffpunkt immer samstags um 10.05 Uhr live gesendet. Dies immer unter strengen Sicherheitsmaßnahmen. Techniker und Redakteur befinden sich nicht im selben Raum, die Arbeitsplätze werden vor und nach der Sendung desinfiziert usw. Die Interviewgäste im Ö1 Klassiktreffpunkt waren via Telefon oder Skype zugeschaltet. Live-Sendungen sind etwas vom Schönsten im Radio, weil sie eine so unmittelbare Stimmung vermitteln. Ich bin froh, dass es uns gelungen ist, dies aufrecht zu erhalten.

Martin Bernhofer: Eine tragende Säule von Ö1 sind auch die Ö1 Journale und Nachrichten, die trotz der aufwändig umzusetzenden Sicherheitsbestimmungen für den redaktionellen Betrieb mehrmals am Tag live fundierte Informationen und eine differenzierte Auseinandersetzung mit allen Aspekten und Folgen der Corona-Krise geboten haben und weiterhin bieten.
Live-Sendungen wie „Punkt eins“ und „Medizin und Gesundheit“ waren und sind eine wichtige Plattform, um mit unserem Publikum in Kontakt zu treten, Fragen zur Corona-Krise zu beantworten und einen gesellschaftlichen Dialog medial zu führen, der wichtiger ist als je zu vor. Dass die Gespräche für Live-Sendungen ausschließlich über Telefon und Skype geführt werden stellte natürlich eine besondere Herausforderung für Moderatorinnen und Moderatoren wie Gesprächspartnerinnen und Gesprächspartner dar. Es sind in dieser Zeit erfreulicherweise aber sehr viele nicht nur informative, sondern auch lebendige und berührende Gespräche zustande gekommen, die eine ganz besondere Atmosphäre des Austausches und des Zusammenhalts erzeugt haben. Aus den Rückmeldungen unserer Hörerinnen und Hörer war zu entnehmen, dass der Sender für sie eine „Grundversorgung“ mit lebenswichtigen Inhalten, aber auch Vertrautheit und Verlässlichkeit geboten hat. Auch das war unser Ziel.

Sehen beziehungsweise hören Sie aktuell ein größeres Mitteilungsbedürfnis der Menschen? Anders gefragt, sind die Zahlen, der Leute, die beim Sender anrufen, gestiegen?

Elke Tschaikner: Es gab tatsächlich mehr Reaktionen von Hörerinnen und Hörern als üblich. Das hat vielleicht damit zu tun, dass das Radio einen verstärkter durch den Tag begleitet als sonst. Das Kulturforum wird sehr gut angenommen. Da sind wir gerade beim 1000. Beitrag. Da gibt es sehr feine, kreative Dinge zu hören und zu sehen.

Martin Bernhofer: Wir haben sehr viele Anrufe erhalten, die uns ermutigen und zum Ausdruck bringen, das Ö1 für unsere Hörerinnen und Hörer ein „mediales Lebensmittel“ ist, das gerade in dieser Zeit für sie unverzichtbar ist. Das ist natürlich auch für unser Team sehr erfreulich und motivierend.

Gerade im Bereich Nachrichten ist es wichtig auch Positives zu vermitteln. Ich denke zum Beispiel daran, nicht nur Zahlen von Erkrankten sondern auch bereits Geheilten zu vermitteln. Gerade in diesem Bereich setzen viele Medien auf Schlagzeilen und schüren damit Panik . . .

Martin Bernhofer: Fundierte und auch in der Tonalität sachliche Information ist nicht nur in Corona-Zeiten unverzichtbar. Dass aus einer Pandemie keine von Fake News befeuerte „Infodemie“ wird ist ein gemeinsames Ziel aller Qualitätsmedien. Verlässlichkeit und Genauigkeit und ein kritischer journalistischer Blick ist in diesem „viralen Weltbeben“ wichtiger denn je. Dazu gehört es auch, genau zu analysieren, was die Kontexte und Folgen der Corona-Krise sind und was sich damit gerade verschiebt – ob politisch oder wirtschaftlich, gesellschaftlich oder kulturell.

Elke Tschaikner: Auch in meinem Bereich – die Ö1 Musikredaktion bespielt ca. 50% des Programms – haben wir immer darauf geachtet, eine Normalität zu vermitteln. Panikmache ist aber ohnehin nie ein Thema beim ORF. Als Hörerin habe ich bei mir selbst aber schon intensiviert beobachtet, wie gut es tut, nach den Nachrichten eine wirklich gut gemachte, interessante und anregende Musiksendung zu hören.

Nehmen Sie es auch mit Humor. Das heißt: haben Sie bewusst verstärkt auf Unterhaltsames gesetzt, sich an Publikumshits erinnert?

Martin Bernhofer: In vielen Sendungen wurden humorvolle und auch unbeschwert-inspirierende Beiträge in Moderationen und in der Musikauswahlwahl dosiert und sehr bewusst eingesetzt. Wir haben aber auch mit akustischem „Augenzwinkern“ Perlen aus dem Archiv geholt, wie die bei langjährigen Ö1 Hörerinnen und Hörern beliebte und legendäre Morgengymnastik mit Ilse Buck.

Elke Tschaikner: Ich fand es witzig, dass die Kolleginnen und Kollegen der Morgensendung Ausschnitte aus diesen legendären Turnsendungen ins Programm genommen haben. Daran erinnert sich jede/r, der ein gewisses Alter hat und muss schmunzeln..

Wurden in dieser für viele Menschen schwierigen Zeit auch verstärkt PsychologInnen zu Rate gezogen?

Martin Bernhofer: Wir haben PsychologInnen und ExpertInnen verschiedener Disziplinen in Sendungen eingeladen, um einen verlässlichen Wissenspool, Expertise und Beratung zu bieten – für die ungewohnte Situation der Ausgangsbeschränkungen, aber auch als „virtuelle Schulstunde“ für das Lernen und Arbeiten zuhause, das für die meisten Familien eine große Herausforderung darstellt. Mit dem erweiterten Angebot von „Ö1 macht Schule“ haben wir eine große Themenbreite an zusätzlichen Inhalten für das Lernen zuhause angeboten und unser Podcast-Angebot dafür erweitert. Angeboten wurden aber auch Hilfen und Ratschläge, wie man das Lernen und die häuslichen Routinen strukturiert und Resilienz in Zeiten großer Belastungen entwickeln kann.

Elke Tschainkner: Es gab ganz zu Beginn der Krise auch das Angebot an die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, psychologische Hilfe im Bedarfsfall in Anspruch zu nehmen. Wie sehr das in Anspruch genommen wurde, weiß ich nicht.

Wie gestaltet sich der Austausch mit Kollegen und Kolleginnen aus dem Ausland. Der Blick über den Tellerrand ist gerade jetzt enorm wichtig . . .

Elke Tschainkner: Wir sind via EBU (European Broadcasting Union) in ständigem Kontakt mit Kolleginnen und Kollegen aus ganz Europa. Man lernt voneinander. Und natürlich ist der internationale Programmaustausch (Konzerte werden via EBU ausgetauscht) derzeit ein besonderes Thema. Weil eben nirgends Konzerte stattfinden. Alle hoffen, dass es sehr bald konstruktive Lösungen für die Veranstaltungsszenen geben wird.

Martin Bernhofer: Die Corona-Krise hat nicht nur zu Ausgangsbeschränkungen und Grenzschließungen geführt, sondern auch zu einem zwar verständlichen, aber auch folgenschweren, einengenden Fokus auf die unmittelbaren Probleme und deren Bewältigung beigetragen. Umso wichtiger ist es für einen Sender wie Ö1, die internationalen Dimensionen der Krise zu thematisieren, die globalen Verflechtungen und Folgen in verschiedenen Ländern aufzuzeigen und auch globale Themen wie den Klimawandel dabei nicht aus den Augen zu verlieren. Auch das ist ein unverzichtbarer Programmauftrag für Ö1.

https://oe1.orf.at/

Geschrieben von Sandra Schäfer